Unzerschnittene Landschaften: Akut bedroht.
Regionalplanung: Eine dornige Angelegenheit
Die unzerschnittenen Landschaften sind vom Flächenhunger der erneuerbaren Energien bedroht. Und in Westmecklenburg besonders. Wer verstehen will, warum, begibt sich in ein unwegsames Dickicht dorniger Paragraphen. Kurz gefasst: Der Regionale Planungsverband Westmecklenburg hat versäumt, seine wertvollsten Landschaftsräume frühzeitig zu schützen. Die Quittung erhalten wir alle: in Form von Wildwuchs. Windenergieanlagen dürfen nun (fast) überall gebaut werden. Nun geht es darum, das selbstverschuldete Vakuum schnellstmöglich wieder zu füllen.
Alles NIMBY, oder was?
Es ist das erste Argument, das einem entgegenschlägt, wenn man den Windkraftausbau vor Ort in Frage stellt: „Not in my backyard – du bist also auch einer von denen! Alle wollen Windkraft, aber keiner bei sich im Vorgarten.“ Für gewöhnlich folgen dann schulterklopfende Belehrungen zur Unumgänglichkeit der Energiewende.
Muss also, wer die Energiewende will, ihre Bauwerke klaglos hinnehmen? Ist die Opferung sensibelster Naturräume alternativlos, wenn wir das Klima retten wollen?
Wir meinen: nein. Und was den Vorgarten angeht: Es liegt in der Natur der Sache, dass wir uns stärker für das engagieren, was in unserem Sichtfeld passiert. Das heißt aber noch lange nicht, dass es egoistische Motive sind. Um im Bild zu bleiben: Wenn ein Autofahrer in meinen Gartenzaun gerauscht ist und ich erschrocken hinlaufe, heißt das noch lange nicht, dass ich das wegen meines teuren Gartenzauns mache und nicht, um dem verletzten Fahrer zu helfen.
Warum also setzen wir uns gegen Windkraft vor unserer Haustür ein? Weil wir überrascht sind von der Planlosigkeit, mit der derzeit der Staat agiert. Weil wir weder den Klimawandel leugnen noch die Notwendigkeit einer Energiewende bestreiten, aber trotzdem behaupten, dass es bessere Alternativen gibt. Und weil uns der Patient vor unserer Haustür, die Natur, am Herzen liegt. Wir werden uns mit aller Kraft für sein Überleben einsetzen.
Woher kommen die Konstruktionsfehler der Energiewende?
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 wurde klar: Deutschland muss sich schleunigst aus der Energieabhängigkeit von Russland befreien. Das Gespenst einer Energiemangellage verursachte eine Serie schneller Gesetzesänderungen zur massiven Beschleunigung der – ohnehin geplanten – Energiewende.
Der Vorrang von Geschwindigkeit vor Gründlichkeit ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar aber ist, dass im Nachhinein so getan wird, als gäbe es keine nennenswerten Konstruktionsfehler in der damals in Windeseile zusammengezimmerten Gesetzesarchitektur.
Windräder in Fernsehturmformat auf jedem dritten Acker?
Nehmen wir das Windenergieflächenbedarfsgesetz. Es ist Teil des 2022 beschlossenen Wind-an-Land-Gesetzes, genauer: eines Gesetzespakets zur Beschleunigung der Energiewende. Ausgehend von den so genannten „Ausbaupfaden“ im Erneuerbare-Energien-Gesetz verpflichtet es die Länder in zwei Stufen zur Ausweisung von Landesflächen für die Errichtung von Windenergieanlagen. Für Mecklenburg-Vorpommern betragen diese Quoten 1,4 Prozent (bis Ende 2027) bzw. 2,1 Prozent (bis Ende 2032). Zieht man die Fläche unserer Städte, der vor Windrädern geschützten Biosphärenreservate, der Gewässer, der großen Wälder, der Mindestabstände um die Wohnbebauung usw. ab, so läuft diese Regelung darauf hinaus, dass durchschnittlich auf jeder 3. Fläche, die dann noch übrig bleibt, Windräder von unbegrenzter Höhe stehen werden. Zudem ist festgelegt, dass die – aktuell um die 70 Meter langen – Rotorblätter dann auch noch über die Grenzen der Äcker und Wiesen, auf denen sie stehen, „hinausstreichen“ dürfen. Für „unzerschnittene“ Landschaften bleibt da nicht viel Platz. Im Gegenteil: Bei aktuellen Gesamthöhen von 260 Metern und mehr und bei immer noch weiterem Wachstum wird man gefühlt von Windrad zu Windrad hüpfen können. Und einen Ausblick ohne Windrad wird man kaum noch erhaschen können. Nur zum Vergleich: Die Kugel des weithin sichtbaren Berliner Fernsehturms reicht bis auf 230 Meter Höhe; ähnlich hoch ist mit 220 Metern die Gesamthöhe des Dortmunder Florianturms.
2,1 Prozent der Fläche sind zu viel
Abgesehen von ganz grundsätzlichen Überlegungen2 zur Wirksamkeit einer solch umfassenden Flächentransformation ist der Sinn der konkreten Vorgabe von 2,1 Prozent fraglich. Denn offenbar erfolgte die Ermittlung dieser Quote auf Basis von Durchschnittsleistungswerten bestehender Anlagen. Mit modernen, wartungsarmen Anlagen bestückt, würden diese Flächen jedoch weit mehr Energie erzeugen als im Ausbaupfad vorgesehen. Das heißt: man bräuchte weniger Fläche.
Warum also legt der Bund anstelle von Flächenbeitragswerten nicht einfach zu erreichende Energiemengen fest? Jedes Land könnte dann selbst entscheiden, auf welche Weise und mit welchen Flächen es diese Energiemengenvorgabe erfüllen würde. Hierhin gehört auch die Forderung, weitere Energiequellen – wie z. B. die Geothermie – zum Erreichen der Ausbauziele zuzulassen. Dann nämlich käme man einer aktuellen Studie des Instituts für Umweltplanung der Universität Hannover3 zufolge schon mit 1,5 Prozent der Fläche in Deutschland aus.
Angesichts der Bedeutung, den unzerschnittene Freiräume für den Erhalt der Biodiversität und damit auch des menschlichen Lebens haben, sind diese 0,7 Prozent Unterschied im Flächenbedarf keine Peanuts. Immerhin belegen die Windenergieanlagen derzeit in unserem Land eine Fläche von 0,8 Prozent…
Sinnvoll könnte es auch sein, messbare Einsparungen beim Energieverbrauch – immerhin die wirksamste Form des Klimaschutzes – mit der „abzuliefernden“ Energiemenge zu verrechnen.
Planungsverband Westmecklenburg: Klassenstreber …
Wie auch immer: Dass die 2022/23 in Eile erarbeitete und starre 2,1-Prozent-Regel nicht für 10 Jahre unmodifiziert Bestand hat, davon darf man unter diesen Umständen ohne Weiteres ausgehen – selbst wenn bis dahin kein Farbwechsel in der Bundesregierung stattfindet.
Umso unverständlicher, dass der Regionale Planungsverband Westmecklenburg sich darauf wie auf ein Naturgesetz zu verlassen scheint. Denn er hat 2023 in freiwilliger Selbstbindung4 beschlossen, das vollständige Flächenziel von 2,1 Prozent bereits im aktuellen Planungsprozess – im günstigsten Falle bis Anfang 2025 – auszuweisen. Ein solches Strebertum ist von keinem anderen Bundesland und keiner anderen Planungsregion bekannt. Der Planungsverband handelt wie ein Musterschüler, der eine Hausaufgabe erledigt, bevor sie überhaupt gestellt wurde.
Richtig ist: Wenn man wüsste, dass die Flächenvorgaben für 2032 auch die nächsten 9 (!) Jahre unverändert bestehen bleiben, wäre diese Entscheidung vernünftig und weitsichtig. Doch diese Voraussetzung ist nicht gegeben, und der Planungsverband agiert nun wie „Pappa ante portas“, der Senf für 10 Jahre im Voraus beschafft, ohne zu wissen, ob der je gegessen wird.
Anders als die Senfpalette im Loriot-Film sind aber Windeignungsgebiete auf Vorrat kein Grund zum Schmunzeln. Ganz im Gegenteil. Nur zu gut ist es möglich, dass Westmecklenburg damit zur einzigen Region in Deutschland wird, in der Windräder tatsächlich so dicht gebaut werden, wie es mit dem Wind-an-Land-Gesetz einmal angepeilt wurde. Denn sind sie einmal ausgewiesen und genehmigt, wird es kein Zurück für Windeignungsgebiete in landschaftlichen Freiräumen geben.
… oder Schlafmütze? Selbstverschuldetes Windkraft-Wildwest in Westmecklenburg
Der aktuell zu beobachtende Ansturm von Investoren bzw. Investmentfonds wie Blackrock und Allianz auf mögliche Windenergieflächen in MV erklärt sich aber nicht daraus. Und auch nicht aus den astronomischen Summen, die in diesem Marktsegment dank staatlicher Garantien verdient werden. Denn die winken auch anderswo. Aber Westmecklenburg hat eine Besonderheit, die in Deutschland, so scheint es, ihresgleichen sucht. Denn hier gibt es das, was sich jeder Bauherr wünscht: ein prinzipiell unbeschränktes Recht zum privilegierten Bauen im Außenbereich.
Bauen im Außenbereich ist eine knifflige Sache. Für Wohnhäuser und Carports quasi unmöglich. Aber es gibt Vorhaben, die gesetzlich privilegiert sind. Dazu zählen Stallungen für Bauern, Gasleitungen, Atomkraftwerke und eben auch Windenergieanlagen. Das alles regelt Paragraph 35 des Bundesbaugesetzbuches.
Das heißt aber nicht, dass solche Vorhaben wirklich überall in der freien Landschaft verwirklicht werden dürfen. Denn all solchen Bauten können so genannte öffentliche Belange entgegenstehen. Zu diesen zählen Beeinträchtigungen des Naturschutzes, des Abfallrechts, des Landschaftsbildes oder anderslautende Flächennutzungspläne.
Dieser Passus hielt bis 2022 den Flächenhunger der erneuerbaren Energien in Grenzen. Denn wenn Planungsverbände entsprechende Windeignungsgebiete ausgewiesen hatten, dann galt im Umkehrschluss, dass außerhalb dieser Zonen öffentliche Belange entgegenstehen.
Nun aber ist dieser Schutz vor einem Wildwuchs von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien von mehreren Seiten aus zu Fall gebracht worden. Zum einen hat Habecks so genanntes „Osterpaket“ 2023 das Gleichgewicht zwischen Windenergie- und Naturschutzinteressen massiv zu Ungunsten des Naturschutzes verschoben. Beispielsweise verschwand der hochsensible und seltene Schwarzstorch ohne viel Federlesens aus der Liste der kollisionsgefährdeten Arten im Bundesnaturschutzgesetz. Der NABU sieht in diesen Maßnahmen einen eindeutigen Verstoß gegen EU-Recht und bat die EU-Kommission um Abhilfe5.
Das Wind-an-Land-Gesetz schwächt die öffentlichen Belange aber noch von einer anderen Seite. Durch eine entsprechende Änderung im § 249 des Bundesbaugesetzbuchs dürfen öffentliche Belange im Sinne des Planungsrechts, also Raumordnungs- und Flächennutzungspläne, Windenergieanlagen nicht länger entgegengehalten werden.
Allerdings gilt durch einen eigens hinzugefügten Paragraphen im Baugesetzbuch (§ 245e) eine Übergangsfrist. Demnach genießen alle Flächen- und Raumordnungspläne Bestandsschutz, sofern sie vor dem 1.2.2024 in Kraft getreten sind. Aber nur so lange, wie die Länder bis 2027 und 2032 ihre jeweiligen Flächenvorgaben erfüllen.
Mit anderen Worten: Robert Habeck hat sich mit diesen Regelungen ein scharfes Schwert schmieden lassen. Über allen Ländern, die sich weigern, ihre Flächenquoten zu erfüllen, schwebt das Damoklesschwert eines unkontrollierbaren Wildwuchses von Windenergieanlagen. Wer nicht liefert, dem wird aufgetischt.
Was aber ist nun die Besonderheit in Westmecklenburg? Ganz einfach: Hier gibt es seit einem Gerichtsurteil 2017 keinen gültigen Raumordnungsplan mehr. Zwar gab es Bemühungen, einen neuen aufzustellen und man befand sich 2022 schon kurz vor der Verabschiedung. Doch dann brach der Krieg in der Ukraine aus, der Bund verschärfte seine Gesetzgebung, und der Planungsverband Westmecklenburg entschloss sich, auf dieser neuen Grundlage von vorn anzufangen.
Das Fatale ist nur: Er hat sich nicht ernsthaft Mühe gegeben, den Stichtag 1.2.2024 zu erreichen. Zur Not hätte ja vielleicht die Verabschiedung des alten Entwurfes gereicht. Doch nun ist es zu spät.
Was bedeutet das? Ganz einfach: Die Drohkulisse, die Robert Habeck allen Ländern in Aussicht gestellt hat, um sie zum Handeln zu treiben, wird in Westmecklenburg Wirklichkeit. Aufgrund der Säumigkeit des Planungsverbandes befindet sich unsere Region schon jetzt sozusagen im „Strafzustand“. Das heißt: Windenergieanlagen können aus Raumordnungssicht faktisch überall im Außenbereich errichtet werden.
Wie weiter?
Der Planungsverband kann dieses unentschuldbare und vermutlich folgenschwere Versäumnis nur abmildern, wenn er a) schnellstmöglich einen Plan verabschiedet, der die Flächenvorgaben für 2027 erfüllt. Dann nämlich tritt wieder ein Bestandsschutz ein. Zum anderen sollte b) der Planungsverband umgehend seinen Beschluss zurücknehmen, sich ohne Not schon die Flächenquote für 2032 zu erbringen. Vielmehr sollte er abwarten, wie sich die bundesgesetzlichen Regeln weiterentwickeln und dann – ausgeschlafen und pünktlich – auf die neuen Rahmenbedingungen reagieren.
- Quelle: Wikipedia, © CC0 ↩︎
- https://www.vernunftkraft.de/kompendium/ ↩︎
- https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/aktuelles/online-aktuell/details/news/beschleunigung-der-energiewende-leibniz-universitaet-stellt-daten-fuer-die-standortplanung-von-winden ↩︎
- https://www.region-westmecklenburg.de/Regionalplanung/Teilfortschreibung-RREP-WM-2011-Kap-Energie/ ↩︎
- https://www.nabu.de/news/2023/04/33245.html ↩︎